Der kleine Zug fuhr wackelnd an der sonnigen Küste entlang. Die Sitze waren blau, der Himmel war blau, das Meer war blau. Soviel blau, dachte er, so viel blau dass alles andere in den Hintergrund gerät. Der Zug hielt in Diano. Er beobachtete die Menschen, die ein und ausstiegen, sich begrüßten, wild gestikulierten. Der Zug fuhr wieder an, sein großer
schwarzer Reiserucksack neigte sich gefährlich zur Seite, doch fiel nicht um. Ein fein eingestelltes equilibrium.
Der Zug wackelte in einem Tunnel, er schloss die Augen und wippte mit dem Fuß im Rythmus der Musik. Lange, viel zu lange hatte er keine Gelegenheit zum hören gehabt. Die Sonne auf der anderen Seite küsste sein braunes Gesicht und ließ es golden schimmern. Er öffnete die Augen und beobachte die Landschaft, die wie eine Reihe Gemälde an im vorbei zug. Blaues Meer zu seiner rechten, kleine, sich an Felsen klammernde Häuser auf der linken. Blauer Himmel, blaue Fensterläden, blaue Straßenschilder. Gelbe Wände, blaßrosa Wände,
orange Wände. Lila Bugenvilias, weiß blühender Oleander. Es wurden immer mehr Farben.
Der Zug wurde langsamer und hielt in Alassio. Er stand auf, und hiefte seien schweren Rucksack auf seinen Rücken. Der Zug quitsche als er hielt. Er stieg aus, und lief durch das kleine Bahnhofgebäude. Es war heiß und voller Leben. Ein Mädchen, dass ihm kaum bis zum Knie ging rannte gegen ihn, und sah erschrocken zu ihm hoch. Er lächelte sie sanft an und ging vorsichtig weiter.
Auf dem Platz vor dem Bahnhof stand ein kleines staubiges staubiges Auto unter einem riesigem Olivenbaum. Ein dunkelroter Lada Niva. Nach einem kurzem Kampf mit der Hintertür, verstaute er seinen Rucksack auf der Hinterbank und setzte ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Er errinerte sich noch genau an die Art und Weise wie sich die Sitze an seinem Rücken schmiegten.
...
Die Sonne stand schon recht tief, als sein kleines Auto am Ende der staubigen Straße anhielt. Weit hinter ihm reichten hohe Felsenklippen eines nahen Gebirges in den Himmel. Die Luft war heiß und flimmerte noch von dem langen Tag, und die Sonne stand wie ein großer orangefarbener Ball ziemlich tief am Himmel über den Bergen hinter ihm. Durch das Fenster seines Wagens konnte er die Küstenlinie vor sich sehen. Direkt vor ihm begann ein steiler Abstieg zur Küste. Er saß eine Weile in seinem Auto und bewunderte die Aussicht. Ein langer Seufzer entrang sich seinem Mund. Langsam stand er auf und öffnete die Tür seines Wagens. Es machte ein lautes kreischendes Geräusch, es war sehr rostig.
"Das sollte ich mal reparieren", dachte er.
Er schloss die Tür, und begann, ohne sich umzudrehen, zum Meer hinunterzulaufen. Die schwarzen Felsen waren ziemlich scharf und der Abstieg war nicht einfach, aber er schaffte es sicher. Unten war ein kleiner Strand mit ein paar Leuten, die sich noch in den letzten Sonnenstrahlen des Tages sonnten. Ein Kind spielte mit einem Ball und eine Möwe war auf der Suche nach Futter. Es war ein abgelegener Strand, und er achtete nicht auf die wenigen Leute. Er legte seine Sachen ab, zog sein Hemd aus und ging ins Wasser. Es war nicht kalt, es war nicht warm, die Wellen waren klein und doch kräftig. Er schaute auf das Wasser, heute war es kristallklar. Nur hier und da ein paar Algen, aber die kleinen hellgrünen Fäden, nicht diese schleimigen, furchterregenden. Er begann in Richtung Horizont zu schwimmen, langsam aber stetig, ohne sich umzusehen. Sein athletischer Körper schien durch das Wasser zu schweben. Nach ein paar Minuten drehte er sich leicht, so dass er parrallel zu Küste schwamm. Nachdem er ein paar Minuten geschwommen war, hielt er inne. Seine Uhr an seinem Arm vibrierte. Ich hätte sie abnehmen sollen, dachte er und stellte sie ab. Er streckte seine Füße aus und spürte den Boden unter seinen Füßen. Er konnte kaum noch stehen. Er nutzte die Unterstützung des warmen, weichen Sandes an seinen Füßen, um einfach zu sein. So blieb er eine Weile unbeweglich und starrte auf die Wellen, die am Horizont verschwanden.
Sein Vorhaben kam ihm sehr albern vor. Er war gekommen um Antworten zu finden, oder vielleicht auch nur ein Gefühl. Er wollte sich eins fühlen mit der Erde, sich verbinden mit der Natur und sich leiten lassen, oder zumindest verstehen was die anderen meinten, wenn sie darüber sprachen. Und zu verlieren hatte er ja wirklich nichts.
Er kam sich komisch vor, doch er ließ seinen Körper ins Wasser gleiten. Der hohe Salzgehalt des Ozeans ließ seinen Körper leicht auf der Oberfläche treiben. Die Wellen bewegten seinen Körper, und zuerst wehrte er sich und versuchte, an der gleichen Stelle zu bleiben, aber schließlich ließ er jede Anspannung los und gab sich der Bewegung hin. Er versuchte irgendetwas, irgendjemanden, irgendeine Art von Präsenz oder gar Stimme zu finden, aber alles, was er hören konnte, war Stille und die kleinen, vom Wasser gedämpften Geräusche des Ozeans.
Das fühlte sich gar nicht so an, wie er sich das vorgestellt hatte. Auf einmal wurde ihm bewusst was er versuchte. Er war auf seiner verzweifelten Suche nach Antworten dabei diese in einer für Menschen höchst unangepassten Umgebung zu suchen. Der Ozean war wie ein anderes Universum, etwas völlig anderes als jeder Wald, den er je betreten hatte, und jeder Stein, auf den er je getreten war. Dies war unbekanntes Terrain für die Menschheit. "Wir sollten nicht hier sein, wir gehörten nicht unter Wasser", dachte er und seltsamerweise, während er das dachte, entspannte sich sein Körper, und er ließ alle Muskeln in seinem Körper völlig los. Und sein regloser Körper trieb weiter und weiter. Seine Gedanken wurden langsamer und langsamer und eine innere Anspannung ließ von ihm los. Überrascht wurde ihm klar, dass er sich dieser nie bewusst gewesen war. Er dachte: "Vielleicht ist dies das Geheimniss, einfach einmal alles loslassen, meinen Körper, meine Seele, meine Gedanken, meine innere Anspannung, und dann fließe ich mit dem Leben mit, sowie ich hier mit den Wellen mitfließen anstatt andauernd gegen den Strom zu schwimmen. Dort wo sie mich hinbringen, dort komme ich an".
Sein Geist wurde immer ruhiger. Er dachte wieder an Mutter Natur, und wie anders es sich hier anfühlte als auf Land. Er spürte keinerlei Verbundenheit zu seiner Umgebung. Es war ihm eher, als würde er, auf der Suche nach Antworten, versuchen mit ausserirdischen in Kontakt zu treten. Dieser Gedanke brachte ihn fast zum lachen und er fühlte sich in diesem Moment wieder wie ein 6-jähriges Kind, das an einem fernen Strand spielte, frei von allen Sorgen, und eine unendliche Freude stieg in seinem Herzen auf. Wie cool, er war auf der Suche nach Antworten bei "Ausserirdischen". Für einen Moment war er sein Kopf so frei wie lange nicht mehr und er hätte spielen können, mit einer kindlichen Kreativität und Abenteuerlust. Das Gefühl war so intensiv, dass er davon erschrak und seine Unbeweglichkeit stoppte und tief einatmete. Er schüttelte sich. So viele Jahre hatte er sich nicht so gefühlt, und er hätte nie gedacht dass ihm dies jetzt passieren würde. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Ein langsamer Atemzug entkam seinem Mund und er war verblüfft, darüber wie intensiv die Errinerrung an ein bestimmtes Gefühl seiner Kindheit gewesen war.
Er stieg langsam aus dem Wasser und dankte der Natur für diese Erfahrung. Er kam sich viel weniger albern vor als noch vor ein paar Minuten. Langsam begann er den Aufstieg zu seinem Auto, mit gemischten Gefühlen über das, was gerade passiert war und was es bedeutete und ob es überhaupt etwas bedeutete. Und ein Gefühl von Glück, ein Gefühl von Ruhe, ein Hauch von Verwirrung, ein wenig Leere und ein wenig Fülle. Und er dachte: "Wie ist es möglich, so viel und doch so wenig gleichzeitig zu fühlen? Sie viel und doch auch gleich so wenig zu erleben? Er lächelte, denn er wurde sich bewusst über seine Unwissenheit. Er spürte, dass es noch viel mehr zu erleben und zu fühlen gab.
Dann stieg er in sein Auto und setzte seine Fahrt langsam fort.
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